Kinderstube Kies
ein Leben zwischen Steinen und Sand
Kiesel, Wasser und Sand, Treibholz und ab und zu ein paar Pflanzen -
sehr viel mehr ist hier erstmal nicht zu sehen. Eine Kiesbank mitten im Fluss, entstanden durch die Ablagerung von Geschiebe, also dem Material, das von einem Fluss transportiert wird. Vor allem bei Hochwasser oder Unwetterereignissen können es große Mengen an Kies sein, die weggerissen, angespült, um- und aufgeschichtet werden.
Recht öde sieht es hier aus und doch steckt die Kiesbank voller Leben. Es gibt einige Spezialisten, Pioniere, die sich an die Dynamik der Fließgewässer angepasst haben und sich hier sogar vermehren.
Es gibt Kieslaicher, Kiesbrüter, Kiesläufer, Kieshüpfer und andere Kiesbewohner, die sich mit der Aufzucht ihrer Jungen beeilen müssen. Denn schon morgen könnte ein Naturereignis ihre Kinderstuben gefährden und alles verändern.
Kieslaicher - Fische
Kieslaicher werden in zwei Gruppen unterteilt. Die einen vergraben ihre Eier im Kies wie z.B. die Bachforelle, die Äsche oder der Huchen. Man nennt sie deshalb auch Interstitiallaicher * . Sie stellen besonders hohe Ansprüche an das Sediment. Es muss locker, unverschlammt, gut durchströmt und während der Entwicklungszeit der Eier stabil sein.
* Interstitial bedeutet Sedimentlückenraum oder Kieslückensystem.
Die andere Gruppe legt ihre Eier oberflächlich auf dem Kiessediment ab. Sie werden Substratlaicher genannt. Zu ihnen zählen die vielen strömungsliebende Arten wie der Aitel, die Barbe oder die Nase. Die Entwicklungszeit ihrer Eier ist sehr viel kürzer und dauert oft nur 1-2 Wochen.
Der Huchen (Hucho hucho)
Der Huchen (Hucho hucho)
Der Huchen auch Donaulachs genannt ist der Gigant unter den Süßwasserfischen. Er kann bis zu 1,20m (in Ausnahmen auch bis 1,50m) lang und mit bis zu 15 Jahre sehr alt werden. Der majestätisch anmutende Raubfisch liebt kühle, sauerstoffreiche Flüsse mit hoher Fließgeschwindigkeit und steinigem grob kiesigem Grund, den er zwingend für die Eiablage benötigt.
Auch wenn der Huchen kein typischer Wanderfisch ist, der lange Wanderstrecken zurücklegt, können sich seine Wanderungen in flussaufwärts gelegene seichte und kiesige Flussstellen zum Ablaichen bis über 100 km erstrecken. Der Weg dorthin ist im Lech und vielen weiteren Zuflüssen der Donau durch Wasserkraftwerke und Querverbauungen versperrt.
Dass der Huchen, einst König des Lechs, heute noch in unseren Voralpenflüssen zu finden ist, verdanken wir der Aufzucht und dem Besatz der Fischereiverbände und Angler.
Die Äsche (Thymallus thymallus)

Die Äsche (Thymallus thymallus)
Äschen gehören wie der Huchen zur Familie der Lachsfische (Salmoniden) und ist ein ausgesprochen „hübscher“ Fisch. Der Rücken ist graugrün oder bläulichgrau, Flanken und Bauch sind silberweiß bis messingfarbig. Besonders auffallend ist die große und bunte Rückenflosse, die auch Fahne genannt wird. Die Männchen imponieren damit während der Laichzeit und legen sie wie ein purpur schillerndes Tuch schützend über die Weibchen. Bei einer Länge von einem halben Meter kann eine ausgewachsene Äsche bis zu anderthalb Kilogramm wiegen. Von allen heimischen Fischen reagiert die Äsche mit am empfindlichsten auf Umweltverschmutzungen.
Im lateinischen Namen «Thymallus» erkennt man das französische Wort «Thym» für Thymian. Das delikate Fleisch der Äschen hat tatsächlich einen angenehme Thymiannote.
Die Nase (Chondrostoma nasus)


Die Nase (Chondrostoma nasus)
Ja, Sie haben richtig gelesen! Es gibt tatsächlich Fische, die Nasen heißen. Sie haben ihren Namen von der dicken, nasenartigen Oberlippe. Der Unterkiefer der Nasen ist zusätzlich mit einer harten Schicht versehen. Dadurch funktioniert das Fischmaul wie ein Schnabel, mit dem sie Algen von Steinen abschaben und Wasserpflanzen abtrennen.
Die Groppe (Cottus gobio)

Die Groppe (Cottus gobio)
Was ist denn das für kleiner Drache?
Dieser kleine etwa handgroße Fisch hat viele Namen. Neben Groppe oder Koppe heißt er auch Kaulkopf, Rotzkopf, Westgroppe, Mühlkoppe, Dickkopf oder Dolm. Er kann sich gut tarnen und an seine Umgebung anpassen.
Groppen sind schlechte Schwimmer, weil sie keine Schwimmblase haben, mit der sie im Wasser schweben können. Selbst kleine Stufen im Fluss können sie nicht überwinden. Deswegen leben sie am Gewässerboden zwischen Baumwurzeln und Steinen.
Was ist denn eine Schwimmblase?
Die sogenannte Schwimmblase liegt im Bauch der Fische – ein Hautsack, der mit Luft gefüllt ist und so für Auftrieb sorgt. Je mehr Luft in der Schwimmblase ist, umso dichter ist der Fisch an der Wasseroberfläche. Wenn der Fisch Richtung Boden schwimmt, wird seine Schwimmblase durch den Druck des Wassers zusammengedrückt. Dadurch hat er weniger Auftrieb. So kann der Fisch in verschiedenen Wassertiefen schweben.
Kiesbrüter - Vögel
Kieselstein oder Vogelei?
Auch auf Kies brütende Vögel sind auf das regelmäßige Entstehen von Kiesflächen angewiesen und an ihr Vergehen bei Hochwasser angepasst.
Der Flussuferläufer und der Flussregenpfeifer sind Zugvögel, die in Afrika überwintern. Sie kommen zu uns nach Bayern und suchen nun nach Brutplätzen an Flussufern mit Kiesbänken.
In den letzten Jahrzehnten wurde über Artenhilfsprogramme und Renaturierungsmaßnahmen versucht, Kiesbrüter anzusiedeln. Dies gelingt meist nur zeitweise, weil geeignete Lebensräume durch mangelnde Gewässerdynamik schnell wieder verschwinden.
Der Flussuferläufer (Acitis hypoleucus)
Der Flussuferläufer (Acitis hypoleucus)
Der Flussuferläufer ist von Europa, Asien bis nach Nordafrika verbreitet. Die Bestände sind allerdings in vielen Ländern angesichts der Verbauung der Flüsse sehr klein und bedroht.
Er ist etwas kleiner als eine Amsel und fällt durch das typische Wippen des Hinterkörpers auf, wenn er bei der Nahrungssuche emsig hin und her läuft. Männchen und Weibchen sind praktisch nicht voneinander zu unterscheiden. Im Flug wird der auffällige, weiße Keil auf den Flügeln erkennbar. Er fliegt schnell und flach über die Wasseroberfläche von einem ruhig gelegenen Uferabschnitt zum nächsten, begleitet von mehrsilbigen Rufen.
Der Flussregenpfeifer (Charadrius dubius)
Der Flussregenpfeifer (Charadrius dubius)
Der Flussregenpfeifer ist bei uns sehr viel häufiger anzutreffen als der Flussuferläufer und nicht so streng an Fließgewässer gebunden, weil er auch von Menschen gemachte Biotope, die Kiesinseln ähneln, als Bruthabitate nutzt. Das sind vor allem Kies- und Sandgruben und für Baustellen vom Oberboden freigeschobene Flächen, aber auch sandige oder kiesige Ackerflächen ohne Vegetation. Seine ursprünglichen Nistplätze sind vor allem Schotterbänke und -inseln, die durch die natürliche Flussdynamik weitgehend vegetationsfrei bleiben.
Ausgewachsene Flussregenpfeifer sind etwas größer als Stare. Auf der Nahrungssuche an schlammigen Uferzonen rennen sie schnell und flink über den Boden, stoppen dabei immer wieder abrupt ab, um gegebenenfalls etwas aufzulesen.
Bei der Balz vollführen der Männchen eine richtige Flugshow, bei der sie in der Luft kreisen und mit steifen Flügelschlägen auffällige Geräusche erzeugen. Damit demonstrieren sie ihre Vitalität und Eignung als Partner, um Weibchen zu beeindrucken. Am Boden geht die Vorführung dann weiter. Die Männchen zeigen beeindruckende Paraden, bei denen sie ihren Körper aufplustern, den Kopf senken und mit gespreizten Flügeln und Schwanzfedern auffällige Posen einnehmen. Begleitet werden diese Darbietungen von einer Reihe charakteristischer Rufe.
Schmucke Vögel und doch fast unsichtbar:
Wussten Sie, dass der Flussregenpfeifer einen goldenen Augenring hat und ein schwarzes Diadem trägt? Damit sind die schwarzen Federn auf der Brust gemeint, die so aussehen, als würde der Vogel eine schwarze Kette um den Hals tragen. Trotz dieses Schmucks kann der Vogel sich erstaunlich gut tarnen und fast unsichtbar in seiner natürlichen Umgebung werden. Die Eier, die das Weibchen in eine Kiesmulde legt, kannst du leicht mit Kieselsteinen verwechseln.
Hätten Sie es gewusst?
Flussuferläufer und Flussregenpfeifer gehören zu den sog. Limikolen auch Watvögel oder Regenpfeiferartige genannt. Dazu gehören auch der der Kiebitz, die Bekassine oder der Rotschenkel. Daraus kann man schon schließen, dass die Limikolen alle an oder in unmittelbarer Nähe vom Wasser ihren Lebensraum haben. Gemeinsam haben sie auch, dass die jungen Küken fast alle Nestflüchter sind, also ihr Nest schnell verlassen, sobald das erste Federkleid, dass sog. Dunenkleid getrocknet ist. Der Familienverband kann sich mitunter mehrere Kilometer vom Brutplatz entfernen. Bei Gefahr durch Fressfeinde mimen die Eltern einen verletzten Vogel und schleppen sich vor dem Feind her, um von dem Gelege oder den Küken abzulenken.
Kiesläufer - Käfer und Spinnen
Es gibt in der Familie der Käfer und Spinnen einige besondere Arten, die äußerst behände und schnell auf dem steinige Gelände am Fluss unterwegs sind. Ihnen in freier Wildbahn zu begegnen, erfordert Ausdauer und ein gutes Auge. Viele sind sehr selten und vom Aussterben bedroht. Wir stellen Ihnen hier zwei ganz besondere Spezies vor.
Der Kiesbank-Sandlaufkäfer (Cicindela hybrida)
Der Kiesbank-Sandlaufkäfer (Cicindela hybrida)
Ein Sprinter mit Durchblick
Der Kiesbank-Sandlaufkäfer gehört zur Familie der Laufkäfer und ist mit einer für seine Größe erstaunlichen Geschwindigkeit unterwegs. Hinzu kommt seine gute Flugfähigkeit. Er hebt sehr schnell ab, aus dem Stand wie auch aus dem Lauf heraus. Seine bevorzugte Beute sind Ameisen, aber auch Spinnen, Milben und andere Insekten. Wegen der Musterung auf seinen Flügeldecken wird er auch Tigerkäfer genannt.
Der Kiesbank-Sandlaufkäfer zählt zu den schnellsten Tieren der Welt. Wenn er seine Höchstgeschwindigkeit erreicht, ist er mit etwa 9 km/h unterwegs, obwohl er nur so groß ist wie die Fingerkuppe eines Erwachsenen. Wollte ein Mensch im Verhältnis genauso schnell laufen, müsste er eine Geschwindigkeit von unglaublichen 770 km/h erreichen.
Weil er so schnell ist, reicht seine Sehkraft oft nicht aus, um auf der Jagd Hindernisse rechtzeitig zu erkennen. Damit ihm kein schmackhaftes Beutetier entwischt, hält er seine Fühler beim Laufen ganz dicht über dem Boden. Berühren sie ein Hindernis, weicht er sofort aus und bleibt so seiner Beute auf den Fersen.
Der Uferwühlwolf (Arctosa cinerea)
Der Uferwühlwolf (Arctosa cinerea)
Der Uferwühlwolf ist mit fast 2 cm Körperlänge – ohne Beine gerechnet - eine der größten heimischen Spinnen. Er wird deswegen auch Sandtarantel genannt. So gefährlich sein Name auch klingt, jagt er weder im Rudel, noch ist er gefährlich. Ganz im Gegenteil – die Weibchen kümmern sich sehr sorgsam um ihren Nachwuchs und tragen zunächst die Eier in einer Art Beutel und dann die Jungen auf dem Rücken über die Steine.
Kiesschmetterlinge
Bläulinge
Der Familie der Bläulinge hat ihren Namen von den meist blau gefärbten Flügeloberseiten der Männchen. Einige Bläulinge von den knapp 50 heimischen Arten in Deutschland sind absolute Spezialisten. Sie ernähren sich von nur einer einzigen Pflanzen. Einige sind sogar so standortgebunden, dass sich ihr ganzes Schmetterlingsleben auf einer einzigen Pflanze abspielt, der Lebensraum also nur wenige Quadratmeter groß ist.
Eine weitere Besonderheit ist die Symbiose mancher Arten mit Ameisen. Zu ihnen gehören der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Lungenenzian-Ameisenbläuling oder auch der Idas-Bläuling.
Bei diesem komplexen Zusammenspiel von Bläulingen, Pflanzen und Ameisen kann man sich sich gut vorstellen, wie leicht dieses Gleichgewicht durch externe Eingriffe gestört werden kann. Denn fehlt die Pflanze oder die Ameise fehlt auch der Schmetterling.
Der Idas-Bläuling - Plebejus idas
Der Idas-Bläuling - Plebejus idas
Wenn sich auf Kiesbänken die erste schüttere Vegetation bildet, suchen die Weibchen des Idas-Bläulings nach geeigneten Wirtspflanzen für ihre Raupen. Hauptsächlich sind das Ginsterarten, Kleearten oder das gelbe Sonnenröschen. Sie haben sich für den Schutz ihrer Raupen mit ihrem ursprünglich größten Feind verbündet, nämlich der Pelzigen Sklavenameise, einer sehr aggressiven Raupenjägerin. Diese beiden Arten sind inzwischen so eng miteinander verwoben, dass die Weibchen der Idas-Bläulinge nur noch dort Eier auf geeigneten Wirtspflanzen ablegen, wo die Sklavenameisen große Staaten bilden.
Die Raupen des Schmetterlings senden Duftstoffe, sogenannte Pheromone ab, die auf Ameisen als "Befriedigungssubstancen" wirken. Zudem geben die Raupen ein sehr begehrtes, süßes Sekret ab. Dafür werden sie von den Ameisen beschützt wie eine persönliche Leibgarde. Wer schon mal in das Gebiet von Sklavenameisen eingedrungen ist, kann bestätigen, dass kein Feind zu groß ist.
Die Verpuppung der Raupe findet entweder im Laub oder auch im Ameisenbau statt. Nach dem Schlupf hört dann die "Freundschaft" auf und der Falter muss den Bau dann zügig verlassen, um von den Ameisen unbehelligt zu bleiben.
Im Gegensatz zu den anderen Ameisenbläulingen ist der Idas-Bläuling wirklich eine Ameisenfreund, denn er frisst nicht deren Brut und lässt sich nicht aushalten. Es ist eine Trophobiose ähnlich wie bei den Blattläusen.